Ring des Nibelungen 1956, Knappertsbusch

Wagner, Der Ring des Nibelungen

Bayreuth, August 1956, Dirigent: Hans Knappertsbusch

Der gesamte legendäre Knappertsbusch-Ring von 1956, eine glanzvolle künstlerische Spitzenleistung, ist erhältlich in einer überschaubaren CD-Kassette. Die eindrucksvollen Sänger sind glasklar und textverständlich im Vordergrund der Mono-Aufnahme zu hören. Und was für Stimmen!

Die besten Solisten singen sogar mehrere Hauptrollen. Man hört Astrid Varnay als melancholische Dritte Norn und außerdem als dreifache, sich unermüdlich steigernde Brünnhilde. Auch Wolfgang Windgassen, der seinerzeit nicht immer in Hochform war, ist hier in bester Abendverfassung – leidenschaftlich, ekstatisch, mit voller Kraft, zunächst als Siegmund. Da stimmt alles. Und genauso geht es später weiter. Windgassen, wieder zweifach eindrucksvoll in der extremen Partie des strahlenden Siegfried. Damals hatte er alle Kraft der Welt. Nicht nur für die schmetternden, auftrumpfenden Passagen, sondern auch für alle delikaten, gebrochenen, zweifelnden Zwischentöne.

Man höre nur den Schluß des dritten Akts, „Selige Öde auf sonniger Höhe.“ Und dann die erwachende Brünnhilde, „Heil dir Sonne! Heil dir Licht!“ Hier steigern sich zwei Jahrhundertsänger, Varnay und Windgassen, in weltenferne, kosmische Ekstasen.

Josef Greindl wechselt souverän zwischen seinen Auftritten als jähzorniger Fasolt, finsterer Hunding und dämonischer Hagen. Gré Brouwenstijn ist eine verführerische Gutrune, herzbewegende Freia und eine melancholische Sieglinde. Jean Madeira entfaltet dunkle Stimmgewalt, als raunende Erda, später als apokalyptische Waltraute, und sie ist sich nicht zu schade für die Miniatur-Rolle der Rossweisse .Derartige Spitzenbesetzungen waren damals nur in Bayreuth möglich. Allerdings gibt es zwei Ausnahmen. Hans Hotters heftiger, gaumig nuschelnder Wotan ist vielleicht nicht jedermanns Sache. Auch Ludwig Suthaus – Furtwänglers unvergleichlicher, maßstäblicher Tristan – brüllt hier ungehobelt herum, und er ist leider ganz überfordert mit den vielen vokalen Nuancen des schillernden Feuergottes Loge.

Aber sonst stimmt alles, bewundernswert, angesichts der übermenschlichen, anspruchsvollen Herausforderungen des vierteiligen Werks.

Paul Kuen als gellender, faszinierender Mime. Gustav Neidlinger als schneidend böser Alberich. Arnold van Mill ist ein düster grollender und später träge, bequem schatz-hütender Fafner. Hermann Uhde gelingt das Kunststück, die sonst sehr blasse Nebenrolle des Gunther zum Leben zu erwecken, mit einer ungewohnt dämonischen, scharfen Attacke.

Man lauscht Stunden über Stunden, fasziniert, hellwach den besten Wagnerstimmen der damaligen Zeit, wie sie heute überhaupt nicht mehr denkbar sind, in einer derartig hochkonzentrierten Zusammenballung erstrangiger Qualität.

Der geniale Regisseur war damals Wieland Wagner, dessen unnachgiebige künstlerische Strenge zu maßstäblichen Spitzenleistungen führte und dessen magische Bildvisionen bis heute unerreicht sind. Davon gibt es nur noch einige Filmausschnitte und – immerhin – sehr viele, faszinierende Bühnenphotos.

Viele andere Ring-Dirigenten – Solti, Karajan, Barenboim, Haitink, Janowski u.a. – hatten später eine bessere Aufnahmetechnik zur Verfügung.

Aber bei dieser Ring-Gesamtaufnahme werden technische Kategorien durchaus zur Nebensache.

Denn der Dirigent Knappertsbusch verfügte über eine unvergleichliche künstlerische, visionäre Kraft – als hätte er einen unmittelbaren Zugang zu Wagners tiefsten Geheimnissen – und damals, im Jahr 1956 öffneten sich ihm alle Tore ganz weit.

Sobald das Rheingold-Vorspiel einsetzt, gibt es keine Zweifel. Der leicht wattige, nebelumwölkte Orchesterklang läßt Knappertsbuschs Intentionen sofort erkennen.

Ein archaisches Mysterium wird hoch emotional, konzentriert zelebriert und entfaltet. Eine zeitlose Parabel vom Anfang und Ende aller Zeiten.

Knappertsbusch gelingt es, in den langsamen, weihevollen Tempi eine pausenlose, atemlose Spannung zu erzeugen. Er schleppt niemals und belebt souverän den ausufernden Riesen-Atem des vierteiligen Werks, mit geheimnisvoll raunenden, mystischen Klang-Gebilden.

Im Bayreuther Sommer 1956 gelang diesem Dirigenten – vor über fünfzig Jahren – die Annäherung an den innersten Kern des Werks und die grandiose Entfaltung der ausufernden Tetralogie, mit einem magischen Klangrausch, der auch heute noch verzaubert und überwältigt.

 

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